Traktat über Hotel als Weltanschauung.
Insbesondere über das Loggienhotel als architektonische Geste des neuen Volksluxus.
von Jan Tabor
Traktat über Hotel als Weltanschauung.
Insbesondere über das Loggienhotel als architektonische Geste des neuen Volksluxus.
von Jan Tabor
Die Aufbauzeit war offen und ungehemmt. Lediglich die Architektur dieser hellen Zeit, obwohl gerade sie konstituierend hell und sonnig, war sonst merkwürdig zurückhaltend, fragil, scheu. Dies wohl, um all das durch die Zeit der Diktaturen unterbrochene und nun rückgekehrte neue in der Architektur diesmal nicht zu verscheuchen. Sie war hell und fragil und so wirkt sie immer noch. Das wirklich andere an der neuen Auflage der Vorkriegszeit-Moderne war eine nun wirklich demokratisierte, weitgehend unelitäre, teilweise jedoch fragwürdig
volkstümliche Version der Moderne. Man könnte die Aufbauzeit, vor allem ihre späte Phase, die in der Weltausstellung 1958 in Brüssel ihren ruhmreichen Höhepunkt erreichte, auch eine Öffnungszeit nennen.
Öffnung, wie sie jeder Befreiung folgt. Es war eine Zeit der herrlichen Aussichten und Ausblicke. sowohl auf die Zukunft als auch auf die damals gegenwärtigen Landschaften.
Das Hotel mit den vom Dekor überholter Hierarchiesymboliken befreiten und nun weitgehend nützlich gestalteten Balkone und Loggien wurde das Symbol. Das Loggienhotel, wie ich es nennen möchte, weil es tatsächlich Logierort war, und das Caféhaus. Die wichtigsten architektonischen Spiegelbilder der gerade vorherrschenden gesellschaftlichen Zustände sind zur Symbolarchitektur der Aufbauzeit geworden. Früher so häufig vorhanden wie fische im Mittelmeer, sind sie mittlerweile zu architekturgeschichtlichen Raritäten geworden. Sie werden demoliert, renoviert, umgebaut und modernisiert. So gründlich und so beharrlich wie keine andere Bauepoche. Die Aufbauzeit, eine kulturgeschichtliche Anomalie, wird zugleich nostalgisch verklärt und faktisch verachtet und vernichtet.
Von dem formal und funktionell vorzüglich gestalteten, jedoch nicht nur in Wien überaus schlecht beleumundeten Südbahnhof ist nur das Hotel Prinz-Eugen übrig geblieben. Dieses vortrefflich entworfene Hotel, eine dem Italienitá-Stil des mittlerweile restlos wegdemolierten Bahnhofs angepasste Fremdenherberge, wurde fast gleichzeitig mit und fast gegenüber dem Südostbahnhof auf dem trostlosen Wiedner Gürtel errichtet. 1958, von Georg Lippert.
Das durch seine helle, gut gelaunte Architektur noch immer stark beeindruckende Hotel war zwar kein Bestandteil des Bahnhofs selbst, aber es war mit ihm ideell und stilistisch eng verbunden. Verbunden wie der Bahnhof nebenan mit dem Fernweh nach dem Süden, nach Italien oder Istrien, Venedig oder Rimini. Mit der Sehnsucht nach der mediterranen Sonne und frische der Meeresluft. Das Hotel, das wegen der Nähe des prachtvollen Sommersitzes des barocken Feldherrn nach Prinz Eugen benannt wurde, war ein logistischer und ästhetischer Bestandteil des Bahnhofs und prägendes Element dieser spezifisch gearteten Gegend. Es ist ein prachtvolles Exemplar des Strandhotels mit dessen vielen, gleich großen und reich bemessenen Loggien – jedoch ohne Strand im Ausblick. Es ist die architektonische Geste des damaligen Zeitgeistes – als Wientouristen-Hotel mit erhaltenen Resten der ursprünglichen Innengestaltung und neuartigen 1950er-Nachahmungen.
Nur wenige Jahre davor, 1955, bezeichnenderweise im Jahr des österreichischen Staatsvertrags, der das Ende der Besatzungszeit markierte, errichtete Georg Lippert in Graz neben dem Hauptbahnhof ein ähnliches Strandhotel, das Hotel Daniel. Wie das Prinz Eugen in Wien besteht es noch immer. Nach einigen Anpassungen an die gewandelten und sich ständig ändernden Ansprüche der Fremdenzimmerkundschaft prosperiert es als Designhotel mit 1950er-Retrolook.
Das Hotel Daniel kann bezeichnet werden als Prototyp des bald überall in Mitteleuropa, einschließlich des sogenannten Osteuropa, sich verbreitenden Hoteltypus. Es war die österreichische Uraufführung dieses neuen Hoteltypus sozusagen nördlich der Alpen: ein Hoteltypus, den man als mediterranes Sanatorium bezeichnen kann. Das man im direkten ideologischen und ideellen Zusammenhang mit den beiden Mobilitäts-Ikonen der Massen, dem deutschen Volkswagen und der italienischen Vespa, sehen kann. Diese zwei Vehikel waren die Träger eines völlig neuen Lebensgefühls, zum Reisen nach Venedig oder nach Grado, Rimini und Rom mit Ostia.
Der mobil gewordene Massenmensch braucht freilich ein Reiseziel, dort angekommen, benötigt er eine passende Unterkunft. Die findet er in einem Hotel, das auf komplexen architektonischen Umwegen nach Österreich gelangt ist. Über Umwege wie Sanatorien in hügeligen Waldlichtungen, Berghotels auf den Almen der europäischen Hochgebirge und, vor allem, über die zuerst weitgehend leeren Strände am Mittelmeer selbst, die in den Mussolini-Jahren mit den Ferienanlagen für faschistische Jugend, Coloniamarina genannt, für den späteren Touristenandrang vorauspräpariert wurden kolonialisiert.
Den Architekten, die diesen neuen Hoteltypus in Österreich einführten, war die maritime moderne Italiens vertraut. Sie studierten und begannen als Architekten tätig zu sein in der austrofaschistischen Zeit, die von der Mussolini-Zeit und deren vortrefflicher Architektur geprägt wurde. Die meisten von ihnen – Georg Lippert, Adolf Hoch, Josef Vytiska, Carl Appel, Hermann Kutschera oder Josef Becvar –, die später einige der besten österreichischen Aufbauzeithotels errichten sollten, waren hervorragend von hervorragenden Lehrern ausgebildet, von Clemens Holzmeister und Peter Behrens. Alle genannten, bis auf Josef Vytiska, waren mit dem Nationalsozialismus und seiner seltsamen neoklassizistischen Baudoktrin sympathisierende und mit dem NS-Regime kollaborierende Architekten.
Nach der Befreiung 1945 und vor allem in der Aufbauzeit wurden sie zu den wichtigen Proponenten der Anpassung, der sich im desolaten ideologischen Zustand befindlichen österreichischen Architektur, an das Niveau der internationalen moderne.
Josef Vytiska, der Architekt des vortrefflichen Mediterranität-Hotels Capricorno am Schwedenplatz in Wien, weigerte sich als Wiener Tscheche in der NS Zeit beharrlich, die deutsche Nationalität anzunehmen, wofür er mit Berufsverbot belegt und nach der Befreiung durch unzählige Aufträge belohnt wurde. Das Hotel Capricorno, der pseudoitalienische Name enthält die Reminiszenz an die Insel Capri – dem Traumziel der Italienreisenden. Das nicht mehr existierende Café Capricorno mit seiner mediterranen Atmosphäre war, nachdem das Hotel 1963 fertiggestellt wurde, der beliebteste Treffpunkt der goldenen Wiener Jugend.
In der Hotelarchitektur der Aufbauzeit lassen sich zwei Grundtypen ausmachen. Erstens das bereits erwähnte Loggienhotel für den aufkommenden Volksluxus, für die Mobil werdenden Volksmassen, charakterisiert durch die Loggien beziehungsweise Balkone als wirklich benutzbare Aufenthaltsorte und durch die Offenheit der Hauptfronten der Bauwerke. Zu diesem Typus gehört auch das Parkhotel Pörtschach als ein in jeder Hinsicht hervorragendes Beispiel sowohl für das Weltanschauungshotel der Aufbau- /Wirtschaftswunder- /Sozialpartnerschaftszeit als auch für die Hotel Architektur, die durch Loggien charakterisiert ist, die ähnlich den Theaterlogen die Hotelgäste zu Zuschauern des Spektakels der prachtvollen Landschaft rundherum macht.
Das wohl schönste und zugleich sichtbarste Hotel dieses Typus in Wien war das Hotel Kahlenberg von Hermann Kutschera von 1963. Sein Schicksal ist symptomatisch für den gegenwärtigen kulturgeschichtlich höchst fragwürdigen Umgang mit den Bauten aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Das Hotel, das der Stadt Wien gehörte, wurde trotz seiner erheblichen Qualitäten reibungslos durch einen penetrant schlechten spekulationsbau mit privaten Luxuswohnungen ersetzt. Dabei wurde die bei den Ausflüglern beliebte, öffentlich zugängliche Aussichtsplattform verbaut und so der spektakuläre Panoramablick privatisiert.
Zweitens: der Typus der Loggienlosen, bedeutungsvoll geschlossen wirkenden Hotels. Sie waren als hochhausartige Scheiben ausgebildet. Es sind Hotels, die in wichtigen Städten an prominenten Stellen errichtet wurden, das Hotel Europa in Salzburg von Josef Becvar oder das Hotel Intercontinental in Wien von Carl Appel, der die amerikanische Entwurfsvorlage der Wiener Bauordnung und den hiesigen Verhältnissen angepasst hatte. Diese Hotels waren für Städtetouristen und vor allem für Handelsreisende bestimmt, meist der gehobenen Gesellschaftsklasse.
Das Loggienhotel. charakteristisch sind die zu den Zimmern verhältnismäßig großzügig dimensionierten Balkone oder Loggien oder, besonders häufig, etwas dazwischen in vielen Varianten. Wenn man den Zweck betrachtet, erscheint die Bezeichnung Loggia zutreffend. Dies auch dann, wenn es sich um klassische Balkone handelt. Diese Bauwerk-Appendixe dienen tatsächlich zum logieren, also zu Aufenthalten im freien, welche die Fortsetzung des Strandaufenthalts mit anderen Mitteln bedeuten. Diese Loggien decken meist die ganze vordere, hin zum Meer, zum Strand, zum Landschaftspanorama orientierte Front, mehr oder weniger vollständig ab.
Manchmal, wenn die Lage es erforderlich und sinnvoll macht, sind alle Hausfronten so gestaltet. Die Loggien prägen zwar das Erscheinungsbild dieser Hotels, wirken auch formalästhetisch eindrucksvoll und sind dennoch keine Fassadendekorbalkone, sind kein bloßer formaler Selbstzweck, sondern tatsächlich ein voll integrierter Bestandteil des Hotelzimmers. Gegebenenfalls sogar wichtiger als das Hotelzimmer selbst. Die Loggienhotels sind kein Beherbergungsbetrieb, wo man für einen oder nur wenige Tage abzusteigen pflegt, womöglich auf der Durchreise. Es sind Hotels, die das Reiseziel sind, der Zweck des Kommens. Hier bleibt man mehrere Tage, auch wochenlang. Hier macht man sich für eine bestimmte Zeit heimisch und zeigt das temporäre Zuhause sein, indem man die Loggia mit den bunten Badeutensilien schmückt.
Die Loggienhotels sind im Prinzip perfekt entwickelte und perfekt dem Zweck entsprechende funktionalistische Bauten. Sie erfüllen restlos einige der wichtigsten Forderungen der Moderne nach Domizilen mit Licht, Luft und Sonne. Sie verfügen über Formen, die, um Otto Wagner, einen der Vordenker der klassischen Moderne zu zitieren, schön sind, weil sie praktisch sind.
Mittlerweile kann man sagen, dass sie wirklich schön sind und als schön zu gelten bleiben – das allerschönste Hotel des Loggientypus der Aufbauzeit und das beste Beispiel für ein Hotel als Weltanschauung, das von einem österreichischen Architekten entworfen wurde, befindet sich in Monrovia. Es ist das Palacehotel. Es ist dem Parkhotel Pörtschach ziemlich ähnlich.1962 von Adolf Hoch geplant, galt das auf einem Hügel hoch über der Hafenstadt stehende weiße Gebäude lange Zeit als das modernste Hotel in ganz Afrika. Mehr noch: als das Symbol des neuen, vom Kolonialismus befreiten Afrika. Bis es im liberianischen Bürgerkrieg schwer lädiert wurde.
Kurz bevor er gestürzt und getötet wurde, kündigte der lybische Diktator Gaddafi an, er würde das berühmte Hotel erwerben und renovieren. In Monrovia ist gegenwärtig die Hotelruine die wichtigste touristische Attraktion.