Hotel in seh-lage.
Landmark im Landschaftspark.
von Karin Raith
Ein attraktiverer Ort für ein See-Hotel als der Pörtschacher „Landspitz“ ist kaum denkbar. Von der Mitte des Nordufers reicht eine Landzunge weit in den Wörthersee hinein und bietet Fernblicke über die westliche wie auch östliche Seehälfte. Die Gunstlage der Halbinsel für eine touristische Nutzung wurde bald erkannt, nachdem sich Pörtschach 1864 durch den Anschluss an das Eisenbahnnetz mit der wichtigen Südbahnverbindung Wien-Triest dem Fremdenverkehr geöffnet hatte.
1872 kaufte die Wörthersee Bad AG ein weitläufiges Areal – darunter auch den Landspitz – und begann mit der Errichtung von Hotels. 1882 erwarb der Wiener Porzellanfabrikant Carl Ernst David Wahliss die Liegenschaft und erweiterte die Anlage zu einem Tourismusunternehmen mit 13 Hotelgebäuden sowie Restauration, Badeanstalt, Gärtnerei, Heißwasseranstalt, Sportanlagen und einem großen Landschaftspark.
Das repräsentativste Gebäude, 1894 geplant vom Architekten Wilhelm Heß, war die „Villa IX des Etablissement Wahliss“ auf der Halbinsel. Kurz zuvor hatte Wahliss auch Schloss Velden erworben und baute es als Fremdenverkehrsbetrieb um. Das Etablissement Wahliss in Pörtschach und das Schloss Velden wurden gemeinsam bewirtschaftet.
Das heutige Parkhotel, an der Stelle der alten Villa IX errichtet, ist eine vordergründig spätfunktionalistische Architektur, deren Konzeption und formaler Ausdruck allein aus dem Zweck des Gebäudes entspringen. Oder erzählt es uns mehr? Die Grundrissorganisation könnte nicht lapidarer und ökonomischer sein: eine zweihüftige Anlage mit Zimmerreihen zu beiden Seiten eines Mittelgangs. Unter normalen topografischen Bedingungen – einem geraden Uferverlauf – hat dieser Entwurf eine attraktive, privilegierte Seeseite und eine strandabgewandte, benachteiligte Rückseite zur Folge (oder erlaubt bei einem quer zum Ufer gestellten Baukörper nur eingeschränkte Schrägsicht von beiden Seiten auf das Wasser).
Dank der idealen Halbinselsituation mit ihren zwei nahezu parallelen Ufern resultieren aus dem Konzept zwei gleichwertige Gebäudehälften mit weitem Ausblick über den See. Neben dem überwältigenden Blick von innen bietet das Haus auch ein bemerkenswertes Bild von außen: eine Landmark mit weiter Sichtbarkeit auch aus großer Distanz.
Die Fassadengestalt scheint einer einzigen Funktion zu folgen: der Erschließung der schönen Aussicht. Ein Balkon vor jedem einzelnen Zimmer erlaubt es dem Gast, aus dem Raum heraus und in das Landschaftsbild hineinzutreten. Vor die schräg gestellten Stirnwände der Zimmer gesetzt, vervielfacht und zu langen Bändern gereiht, werden die Balkone zur dominanten Fassadenfigur. (Kürzlich wurden die Eternitbrüstungen im Westen durch Glas ersetzt und damit Öffnung und Ausblick maximiert.) Schon die Veranda spielte eine wichtige Rolle für das Landschaftserleben, als im späten 19. Jahrhundert Adelige, wohlhabende Kaufleute und Bankiers die Kärntner Seen als Urlaubsdestination und Sommerfrische-Landschaft entdeckten und ihre Villen an die Ufer des Wörthersees setzten. Der halb offene, nach außen verlegte Wohnraum ermöglichte einen vor Wind und vor allem vor Sonne geschützten Aufenthalt an der frischen Luft. (Damals war der blasse Teint ein ebenso wichtiges Kennzeichen einer vornehmen, d.h. nicht im Freien manuell arbeitenden Klasse, wie heute die tiefe Bräune ein im Urlaub hart erarbeiteter Beweis für den proletarischen oder bürgerlichen Müßiggang ist.)
Auch bei der alten Villa IX des Etablissement Wahliss durften diese Veranden und Loggien nicht fehlen. Mit dem frühmodernen Streben nach Licht, Luft und Sonne wurde der Balkon zu einem der wichtigsten Elemente mehrgeschossiger Ferienhotels und zugleich zu ihrem architektonischen Leitmotiv.
So einfach das Grundkonzept ist, die Architektur des Parkhotels verrät doch auch einiges über sozioökonomische Zusammenhänge. Die alte Villa IX mit ihrer beherrschenden Mitte und den symmetrischen Seitenrisaliten war noch hierarchisch gegliedert und dem Typus des Schlosses verpflichtet, die gleichförmig aufgereihten Gästezimmer des Parkhotels hinter den durchlaufenden Balkonen entsprechen einer demokratischeren Gesellschaft.
Die Architektursprache hat sich mit der gesellschaftlichen Stellung der Gäste gewandelt. Interessant sind auch einige sublim eingesetzte ästhetische Codes. Wenn die weißen Balkone vor der weißen Wand die Gäste an ein Kreuzfahrtschiff denken ließen, so war diese Assoziation dem Bauherrn und dem Architekten sicher recht.
Und ist es ein Zufall, dass das Hotel ein wenig an die Unités d’Habitation erinnert, die mächtigen Wohnhochhausscheiben, die in den Jahren 1947 bis 1965 in mehrfacher Variation gebaut wurden und wie riesige Schiffe in der Stadtlandschaft schwimmen? Sie waren Liebeserklärungen, Le Corbusiers, an die Ozeandampfer, an ihre Modernität, Effizienz und wohl auch an das damit verbundene kosmopolitische Lebensgefühl.
Das architektonische Spiel mit solchen Assoziationen und ästhetischen Bildern zeigt, dass die Haltung des Bauwerks zum Wasser völlig anders ist als die älterer Gebäude der Region. Vor allem die Inszenierung von Ausblicken auf eine malerische Wasserszenerie unterscheidet die Freizeitarchitektur der letzten eineinhalb Jahrhunderte grundlegend von den bäuerlichen und gewerblichen vormodernen Bauten. Bis zum 19. Jahrhundert wurde der See nicht als Ort des Vergnügens, sondern als Bereich der Arbeit – etwa für Fischer und Flößer – und als ein potenziell gefährliches Naturelement wahrgenommen. Wohnhäuser baute man in angemessener Distanz vom Ufer im hochwassersicheren Bereich. Nur Handwerksbetriebe, die auf das Wasser angewiesen waren, wurden unmittelbar am See bzw. an Bachmündungen errichtet. Die Architektur dieser Zeit offenbart eine entsprechend unsentimental-pragmatische Haltung gegenüber dem Gewässer. Das Haus war als bergende Hülle introvertiert und verschlossen. Fenster, die sich großzügiger der Aussicht öffneten und einen romantischen Blick auf Naturstimmungen erlaubten, waren eine Erfindung des späten 18., wenn nicht erst 19. Jahrhunderts und ein Privileg von Bauherren, die nicht auf dem Land ihren Unterhalt verdienen mussten, sondern aus der Stadt kommend die Seelandschaft und das Seengebiet als Erholungsort und ästhetisches Bild betrachteten.
Die Interpretation der Landschaft als Arbeitswelt oder Freizeitgelände, der sachlich- praktische oder der verspielt-genießende Zugang zur Natur bringen eine introvertierte oder extrovertierte Architektur hervor. Der Wörthersee wurde durch den Tourismus in eine Bade- und Seh-Landschaft verwandelt.